Ein ideo­lo­gi­scher Über­bau des Ter­rors wird zehn Jah­re alt

Vor zehn Jahren, im Februar 2015, wurde die Strategie der »Auslöschung der Grauzone« (Extinction of the Grey Zone) in Dabiq, einem Online-Magazin des Islamischen Staates (IS), in dessen siebter Ausgabe ausführlich beschrieben. Sebastian Schnelle weist darauf hin, dass diese Strategie seitdem den ideologischen Überbau für Anschläge in der westlichen Welt bildet, auch derjenigen in Augsburg, München und Villach.

Das Online-Maga­zin Dabiq war eine Publi­ka­ti­on des IS, die von Juli 2014 bis Juli 2016 erschien und sich in ver­schie­de­nen Spra­chen, dar­un­ter Eng­lisch, Fran­zö­sisch und Deutsch, an poten­ti­el­le Dschi­ha­dis­ten in der west­li­chen Welt rich­te­te. In ihm erschien im Febru­ar 2015 ein Arti­kel unter dem Titel »The Extinc­tion of the Grey Zone«, in dem argu­men­tiert wird, dass die Welt in zwei kla­re Lager geteilt wer­den müs­se: das Lager »des Islam« und das Lager »der Ungläu­bi­gen«.

Das Ziel die­ser kla­ren Tei­lung sei es, Mus­li­me welt­weit, beson­ders aber die­je­ni­gen in der west­li­chen Welt, zu zwin­gen, sich dem IS anzu­schlie­ßen oder als Fein­de betrach­tet zu wer­den. Das Mit­tel waren ter­ro­ris­ti­sche Angrif­fe, beson­ders auch auf Zie­le der Zivil­ge­sell­schaft.

Die­se soll­ten in west­li­chen Gesell­schaf­ten ein Kli­ma der Angst und des gene­rel­len Miss­trau­ens gegen Mus­li­me schü­ren. Die Hoff­nung war, west­li­che Gesell­schaf­ten dazu zu brin­gen, ihre mus­li­mi­schen Gemein­schaf­ten zu stig­ma­ti­sie­ren und zu unter­drü­cken, so dass sich im Gegen­zug die Mus­li­me ent­schei­den müss­ten, sich dem »Kali­fat« anzu­schlie­ßen oder in einem feind­li­chen Umfeld zu leben.

Wer sich also schon immer gefragt hat, was isla­mis­ti­sche Atten­tä­ter auf einer stra­te­gi­schen Ebe­ne mit Anschlä­gen zu errei­chen hof­fen, erhält hier­mit sei­ne Ant­wort: Men­schen in Angst ver­set­zen und auf eine Spal­tung der Gesell­schaft hin­ar­bei­ten.

Dass es neben die­ser stra­te­gi­schen aber natür­lich auch eine ideo­lo­gi­sche Kom­po­nen­te gibt, die in der Ableh­nung der moder­nen, libe­ra­len Gesell­schaft wur­zelt, beschrieb man in Dabiq in der fünf­zehn­ten und letz­ten Aus­ga­be vom Juli 2016 in einem Arti­kel mit dem Titel »Why we hate you & why we fight you« (»War­um wir euch has­sen & war­um wir euch bekämp­fen«). Dort heißt es wört­lich: »Wir has­sen euch, weil eure säku­la­ren, libe­ra­len Gesell­schaf­ten genau die Din­ge zulas­sen, die Allah ver­bo­ten hat.« Unter den expli­zit genann­ten ver­bo­te­nen Din­gen fin­det sich dann zum Bei­spiel Homo­se­xua­li­tät.

Die­sen Kampf gegen die Moder­ne und die west­li­chen, libe­ra­len Gesell­schaf­ten, der schon frü­hen Isla­mis­ten, wie Hassan al-Ban­na oder Sayy­id Qutb, zu eigen ist, als bewaff­ne­ten Kampf auch nach Euro­pa zu tra­gen, geht dabei auf den Stra­te­gen Abu Mus­ab al-Suri und des­sen 2004 oder 2005 erschie­ne­nes Werk »The Glo­bal Isla­mic Resis­tance Call« zurück. Dort ruft er zur Dezen­tra­li­sie­rung und zu »füh­rer­lo­sem Jihad« auf und benennt den fer­nen Feind als das eigent­li­che Ziel, wel­ches es zu bekämp­fen gilt.

Er setz­te auf soge­nann­te ein­sa­me Wöl­fe, die sich selbst radi­ka­li­sie­ren und alle not­wen­di­gen Infor­ma­tio­nen im Inter­net fin­den, ohne dass sie logis­ti­sche Unter­stüt­zung durch eine zen­tra­le Orga­ni­sa­ti­on benö­ti­gen wür­den. Er wird damals noch nicht geahnt haben, wie per­fekt die­se Stra­te­gie zu den auf­kei­men­den Sozia­len Medi­en und deren Radi­ka­li­sie­rungs­po­ten­ti­al pas­sen wür­de.

In den letz­ten Wochen haben wir erneut gese­hen, wie die­se Kom­bi­na­ti­on auch zehn Jah­re spä­ter ihre töd­li­che Wir­kung ent­fal­tet. Wei­te­re Atten­ta­te zu ver­hin­dern ist Auf­ga­be der Behör­den. Wir als Zivil­ge­sell­schaft soll­ten aber dafür Sor­ge tra­gen, dass wenigs­tens das Ziel der gesell­schaft­li­chen Spal­tung nicht erreicht wird.

Der Autor Sebas­ti­an Schnel­le betreibt den Pod­cast vor­po­li­tisch.

➡️ Ver­öf­fent­licht am 26. Febru­ar 2025 im hpd (archi­viert)