»Sind wir egal?« – Tugay Saraç über Que­er­feind­lich­keit auf der Islam­kon­fe­renz

Der schwule Muslim Tugay Saraç berichtet von offener Ablehnung innerhalb der Deutschen Islamkonferenz (DIK), sobald das Thema »Diskriminierung queerer Muslim*innen« angesprochen wird. In einem Werkstattgespräch forderten andere Muslime gar die Streichung des Themas »Innermuslimische Intoleranz« – mit Erfolg. Saraç fragt die Politik: »Sind wir egal?«

Im Online­ma­ga­zin Sie­ges­säu­le schil­dert Tugay Saraç, Pro­jekt­lei­ter der Anlauf­stel­le Islam und Diver­si­ty (AID) an der Ibn-Rushd-Goe­the-Moschee in Ber­lin, sei­ne Erfah­run­gen als schwu­ler Mus­lim im Kon­text der vom Bun­des­in­nen­mi­nis­te­ri­um getra­ge­nen Deut­schen Islam­kon­fe­renz (DIK). Saraç berich­tet von einem kon­kre­ten Vor­fall:

»Als ich in einem Werk­statt­ge­spräch zur „Inner­mus­li­mi­schen Into­le­ranz“ das The­ma „Dis­kri­mi­nie­rung quee­rer Muslim*innen“ plat­zie­ren woll­te, lie­fen die Gesich­ter eini­ger ande­rer mus­li­mi­scher Vertreter*innen rot an. Was fie­le mir ein – die­ses The­ma wäre ein theo­lo­gi­sches und hät­te dort nichts zu suchen. Die Vertreter*innen for­der­ten das Innen­mi­nis­te­ri­um auf, das The­ma „Inner­mus­li­mi­sche Into­le­ranz“ zu strei­chen, und so geschah es dann tat­säch­lich.«

Ein bemer­kens­wer­ter Vor­gang für ein mit Steu­er­gel­dern geför­der­tes Dia­log­for­mat – und ein bezeich­nen­des Bei­spiel für den Ein­fluss pro­ble­ma­ti­scher isla­mi­scher Strö­mun­gen in der seit bald 20 Jah­ren bestehen­den DIK. Saraç spricht offen über die Span­nung zwi­schen sei­ner eige­nen Lebens­rea­li­tät und der insti­tu­tio­na­li­sier­ten Reprä­sen­ta­ti­ons­pra­xis, in er fol­gen­des beob­ach­te: Poli­tik­in­nen und Poli­ti­ker »hofie­ren Ver­bän­de, laden sie in Gre­mi­en ein, för­dern sie mit gigan­ti­schen Sum­men und ver­schlie­ßen die Augen und Ohren, wenn sich die­sel­ben Akteu­re que­er­feind­lich äußern.« Saraç:

»Auf mei­ne Ver­zweif­lung ent­geg­ne­ten mir Politiker*innen oft mit „Die katho­li­sche Kir­che dis­kri­mi­niert auch“. Und ich kann nur ant­wor­ten: Na und? Muss ich war­ten, bis der Papst per­sön­lich homo­se­xu­ell ist? Wür­den pro­gres­si­ve Politiker*innen mit Pfarrer*innen zusam­men­ar­bei­ten, wel­che sich offen que­er­feind­lich äußern? Lie­be Bezirks‑, Landes‑, Bundespolitiker*innen, ich möch­te euch zum Abschluss als schwu­ler Mus­lim fra­gen: Sind wir egal?«

Sicht­bar­keit gegen Iso­la­ti­on

Saraç ist nicht nur Kri­ti­ker, son­dern auch Gestal­ter. Als Pro­jekt­lei­ter der Anlauf­stel­le Islam und Diver­si­ty (AID) hilft er täg­lich ande­ren quee­ren Muslim*innen:

»Vie­le que­e­re Muslim*innen glau­ben, sie sei­en allein auf die­ser Welt. Das Gefühl der Iso­la­ti­on, das Gefühl, allein in die­ser gro­ßen ver­meint­li­chen Sün­de zu leben, führt dazu, dass sich viel zu häu­fig Men­schen an mich, an unse­re Anlauf­stel­le Islam und Diver­si­ty wen­den, weil sie depres­siv und sui­zi­dal sind.«

Um die­sem Gefühl von Ein­sam­keit ent­ge­gen­zu­wir­ken, star­te­te die Ibn-Rushd-Goe­the-Moschee im Jahr 2021 die Kam­pa­gne »Lie­be ist halal«, die Saraç bis heu­te mit­ge­stal­tet. Die Kam­pa­gne bie­tet betrof­fe­nen Muslim*innen eine Anlauf­stel­le – gegen Angst, Bedro­hung und Dis­kri­mi­nie­rung.

➡️ Zum Arti­kel auf SIEGESSÄULE.de (19. März 2025): Tugay Saraç fragt als schwu­ler Mus­lim die Poli­tik: „Sind wir egal?“ (archi­viert)

»Halal-Zer­ti­fi­kat für die Lie­be« der Akzep­tanz­kam­pa­gne »Lie­be ist halal« (Bild: @anlaufstelle_islamdiversity, https://www.instagram.com/p/CQizHOpnqXC)
Tugay Saraç mit der Akzep­tanz­kam­pa­gne »Lie­be ist halal« (Bild: Ibn-Rushd-Goe­the-Moschee)