Lale Akgün kritisiert, dass staatliche Maßnahmen erst nach Anschlägen, wie dem in Solingen, ergriffen wurden und »es nicht nur um Sicherheit geht, wie es das Innenministerium oft betont, sondern um ein umfassenderes Verständnis. Wir brauchen Konzepte, die das Thema in seiner ganzen gesellschaftlichen Breite erfassen – von problematischen Vereinen im Stadtteil bis zur globalen Ebene. Dafür wäre eine dauerhafte Einrichtung besser geeignet als eine Taskforce – so, wie es der ursprüngliche Expertenkreis war.« Sie sagt: »Ob er nun ‘Expertenkreis Politischer Islam’, ‘Taskforce Islamismusprävention’ oder anders heißt – das ist mir eigentlich egal. Im Koalitionsvertrag steht, dass so etwas kommen soll, und ich bin optimistisch, dass es auch kommt.«
Akgün warnt vor dem Missverständnis, Islamismuskritik richte sich pauschal gegen Muslime: »In Deutschland herrscht schnell die Meinung, dass man mit solchen Initiativen Muslime unter Generalverdacht stellt. Denken Sie an die aktuelle Debatte bei den Berliner Jusos: Dort soll das Wort ‘Islamismus’ nicht mehr verwendet werden, um keine pauschale Stigmatisierung zu erzeugen. Ich halte das für falsch. Es geht uns doch gar nicht um Muslime allgemein, sondern um den Politischen Islam. Und wenn wir nicht mehr sagen dürfen, worum es geht, können wir das Problem auch nicht benennen – geschweige denn bekämpfen. Der Vorschlag, stattdessen von ‘religiös motiviertem Extremismus’ zu sprechen, ist zu unspezifisch. Es geht hier nicht um katholischen oder protestantischen Fundamentalismus, sondern um den Politischen Islam – das muss man auch sagen dürfen.«
Kritik an »islamfixierter« Integrationspolitik
Der Politische Islam sei kein isoliertes Phänomen in Deutschland. Akgün: »Wir können dieses Problem nicht lösen, indem wir nur auf Deutschland blicken. Wir müssen auch die Länder in den Blick nehmen, aus denen der Politische Islam nach Deutschland importiert wird. Die Bandbreite ist sehr groß. Von den Golfstaaten über Iran, Afghanistan, Pakistan bis Indonesien; von der Türkei bis Bosnien, um einige der Länder zu nennen, in denen der Politische Islam an der Macht ist oder nach der Macht strebt.«
Insbesondere die »türkisch-islamische Synthese« unter Erdoğan sei problematisch, sie kombiniere Nationalismus mit Islamismus – und diese Ideologie werde über DITIB und Milli Görüş gezielt nach Deutschland getragen. Das behindere die Entwicklung eines pluralistischen Islams.
Akgün bemängelt das bisherige Vorgehen in der Islam- und Integrationspolitik, Islamverbände wie DITIB oder Milli Görüş als Vertretung »der Muslime« anzusprechen. Diese Verbände hätten oft nur wenige Mitglieder und verträten ein Islamverständnis, das mit den Grundwerten einer offenen Gesellschaft kaum vereinbar sei. »Eine Religion lässt sich nicht integrieren, nur Menschen lassen sich integrieren«, lautet ihr Fazit.
Religionsunterricht: Bekenntnis raus aus der Schule
Im Interview spricht sich Akgün klar für Bekenntnisfreiheit und gegen bekenntnisgebundenen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen aus. Sie fordert stattdessen ein gemeinsames Fach »Religionskunde« – weltanschaulich neutral, verpflichtend für alle. Dass christliche Kirchen den islamischen Bekenntnisunterricht unterstützen, erklärt sie mit dem Eigeninteresse an der Absicherung des konfessionellen Unterrichts.
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